Mein Home Office in Sansibar
CORONA DIARY ZANZIBAR (5)
Mein Home Office im Hotel. Für zwölf Tage habe ich mich aus der Altstadt in mein Lieblingsstrandhotel Blue Oyster zurück gezogen. Erstmal Boden unter den Füßen gewinnen, Gedanken sortieren, mich fit halten mit langen Spaziergängen am einsamen Strand und Schwimmen im Meer.
„Self-isolation“ am Strand
Wie stellt sich Corona auf Sansibar dar, fragte mich heute eine Freundin aus Deutschland. Wahrscheinlich so wie in Deutschland vor einem Monat (ja, ist erst einen Monat her!): erste Maßnahmen angelaufen, stay-at-home Appelle und Hände waschen, desinfizieren überall. Heute, am 13. April, verzeichnet die Insel vor Tansania mit rund 1,4 Millionen Einwohnern offiziell 12 Fälle, mehrere hundert Leute sind in Quarantäne in dafür designierten Hotels.
Man nimmt die Krankheit ernst, für die man auf der ganzen Insel im Ernstfall drei Intensivbetten mit „ventilator“ hätte, Beatmungsgeräten. Führt „contact tracing“ durch, das Aufspüren von Verdachtsfällen, und Stay-at-home-Appelle. Fast alle Flüge sind unterbrochen, fast alle Hotel geschlossen; die, die noch geöffnet sind, nehmen Langzeitgäste und Leute wie mich auf, die hier arbeiten und wohnen – oder eben (siehe oben) sind zu staatlich angeordneten Quarantäne-Stationen geworden. Viele kleinere Hotels dienen den eigenen Besitzern jetzt als Rückzugsort, als Platz für self-isolation. Ein schöner Platz, unbestreitbar, dennoch sorgenschwer.
Am Strand sehe ich immer die selben Gesichter: ein Dutzend ausländische Hotel- und Gastronomiebetreiber beim Spaziergang. Eine junge Deutsche mit ihrem Rasta-Ehemann und Kind, Managerin eines In-Strandlokals. Die zwei Honeymooner aus London, er Italiener, sie Polin – plötzlich ohne Rückflug. Lokale Frauen und Kinder beim chuale-Essmuschelsuchen, Jungs beim Fußballspielen. Der Strand gehört eindeutig wieder den Einheimischen.
Sansibar unplugged
Die Beachboys sind verschwunden und die Massais, jeder einzelne für sich liebenswürdig, zusammen eine Plage. Die Insel hat sich den Kommerz und den Nepp abgeschminkt, jede Hautpore scheint durchzuatmen. Keine Anmache mehr, keine nervenden Souvenirhändler. Keine Italienerinnen, die mit Seesternen aus dem Meer (Fang verboten!) und Massais vom Kilimandjaro (Fang nicht verboten!) am Strand posieren. Keine wohlmeinenden Deutschen, die Kugelschreiber und Bonbons an Kleinkinder verteilen. Die Einheimischen sehen durch mich hindurch, nur einige Kids rufen mir „Corona, Corona“ hinterher.
Es gibt – für den Moment – ein Leben nach dem Tourismus, das leiser und selbstbestimmter daher kommt. Fischer reparieren ihre Boote und Netze. Für die Hoteliers allerdings ist es hart. Die meisten sehen von größeren Renovierungen eher ab – jetzt muss man das Ersparte beisammen halten, wer weiß schon, wie lange die ZERO-Tourismus-Situation anhalten wird. Einige hoffen nur bis Juni-Juli, realistischer sind wohl die, die das Business für das gesamte Jahr abschreiben.
Geisterbetrieb für wenige Gäste
„Wir wollen niemand entlassen“, sagt mir Simon Beiser, Juniorchef des Blue Oyster Hotels am Ostküstenstrand. Mehr als 30 Angestellte, viele aus den Nachbardörfern, halten das umweltfreundliche 18-Zimmer-Hotel der Familie aus Höxter in Westfalen hervorragend in Schuss. Jetzt sind sie in der Strohdachanlage nur für mich und einen weiteren Gast da, die Hälfte befindet sich im bezahlten Urlaub. Sie haben gelernt, wie man mit „social distancing“ kellnert – mit gehörigem Abstand zum Gast, wie man die Zimmer strikt nur während dessen Abwesenheit betritt. Ein Geisterbetrieb – mit sehr guten Geistern.
„Geh jetzt nicht nach Deutschland zurück“, sagt Kellnerin Deograsia zu mir, „bleib lieber bei uns.“ Hotelchef Simon, 35, frisch gebackener Vater, legt mir einen temporären Internetzugang ins Zimmer, damit ich von meinem „Home Office“ im Hotel aus weiter arbeiten kann. Kürzlich war ein heftiger Blitz in der höchsten Palme des Anwesens eingeschlagen, hatte einen Teil der Hotelcomputer zerstört. Als hätte man sonst keine Sorgen!
„Wir bauen weiter“, sagt Maciek Zielinski, ein agiler polnischer Ferienvilla-Manager gleich nebenan. Rund ein Dutzend Häuser und Apartments umfassen seine „Jambiani Villas“, jetzt baut er an zwei Erweiterungen. „Wir nutzen die Regenzeit und die Corona-Auszeit, um aufzustocken“, sagt der 29-Jährige mit 60 Angestellten. Nur ein einziges seiner Ferienhäuser ist noch belegt: eine Clique von bulgarischen Selbständigen mit ihren Partnern. Hängen geblieben, haben sie in der Corona-Krise eine Auszeit genommen und auf unbestimmt verlängert.
Keine Lebensversicherung in Afrika
Maciek ist gelassen, so gelassen, wie man in Afrika wird, wo es für niemanden eine Lebensversicherung gibt. Er hat eine „Seifen-Initiative“ gestartet. Mit crowdfunding überts Internet sammelt er Geld für sansibarische Frauen, die Seife aus Seegras herstellen und verteilt sie dann gratis in Dörfern – eine örtliche Corona-Sofortmassnahme. „Das ist sicher sinnvoller, als Kindern am Strand Kugelschreiber zu schenken“, weiß der junge Hotelier. Worum es geht, ist klar: die lokale Wirtschaft anzukurbeln, statt Almosen zu verteilen.
Surflehrer Jan Neubert am Nachbarstrand in Paje, in Insider-Foren als einer der 10 besten Kitesurf-Strände der Welt gelistet, hofft, das sein „Nischenpublikum“ bald wieder auftauchen wird. „Surfer sind hart im Nehmen, wenn es wieder Flüge gibt, werden sie zurück kommen“, sagt der 39-Jährige. In der ebenso weltweit bekannten Techno-Strandbar „B4“ am Strand von Paje setzt das Besitzerpärchen Tina Wurmus und Alex Goehse aus Leipzig auf Renovierungen – und Gartenarbeit. Die Eltern und Schwiegereltern sind zu Besuch, durch Corona gestrandet auf Sansibar. Gemeinsam bepflanzen sie die kleine Beach-Oase; misten die B4-Vintage-Boutique aus. Weiße Baumwollblusen und fließende Kleider aus Second-Hand-Märkten Tanzanias hängen hier, von Tina liebevoll dekoriert, an Fischerseilen: Das Wörtchen Nachhaltigkeit hat auf der Insel Sansibar in Corona-Zeiten einen ganz besonderen Klang.